Trondheim-Oslo Styrkeproven 2001

aktualisiert am 17.12.2001



 
 
 

Die Personen :

                                                                                              Reinhard, the racer

Mein ehemaliger Kollege und Vollprofi in Sachen Radrennen

John, THE STRONG MAN FROM ENGLAND

Wir haben die Sache professionell zusammen vorbereitet und es kam ganz anders...

Thomas, the author

Der Traum

Seit ungefähr 10 Jahren weiß ich davon : Der bekannteste Radmarathon in Europa ist Trondheim-Oslo, 540 km quer durch Norwegen. Eine Legende, seit einigen Jahrzehnten jeweils Mitte Juni durchgeführt. Man hört von Leuten, die welche kennen, die das schonmal mitgemacht haben : Von der norwegischen Nordseeküste bei Trondheim (die dort schon Nordpolarmeer heißt, da denk ich doch automatisch an Eisbären) bis nach Oslo gegenüber am gleichnamigen Fjord, das ist soweit weg von allem normalen Radfahren was man so kennt. Gleichzeitig reizte mich das Ganze so, daß mir immer wieder der Gedanke kam : Irgendwann machst Du das !

Reinhard hatte mir damals schon erzählt : Erstmal hoch auf 1000 Meter , meist bei ständigem Nieselregen, dann eine ganze Zeit abwärts bis Lillehammer und danach irgendwie auf und ab bis Oslo. Träum weiter!

Dann kam der Herbst 2000. Reinhard arbeitete schon lange bei einer anderen Firma und wir telefonierten nur noch selten. Ich war mittlerweile 42 Jahre und dachte mir ganz naiv: Juni 2001 fahre ich! Ich erzählte meinem Kollegen John davon. Er kommt wie ich jeden Tag mit dem Fahrrad ins Büro, und er sagte :"OK, ich mache mit". Eine Mail an und ein Anruf bei Reinhard kostete es, bis auch er dabei war .

Vorbereitung

Ein halbes Jahr bis zum Start. Ich versuche soviel wie möglich Infos aus dem Internet über die Styrkeproven zu erhalten. Das war auch das erste neue was ich da erfuhr : Dieser Name bedeutet "Kraftprobe" und die offizielle Seite ist "styrkeproven.com". Den ausführlichsten Bericht über das Rennen fand ich bei Anke Dannowski (http://www.hillclimb.de). Sie war 2000 mit dem Mountainbike mitgefahren und hatte außer vielen Informationen über die Verpflegungsstellen auch persönliche Eindrücke in Ihrem Bericht. Und das war mir klar : Nicht nur die Muskeln sind zu trainieren sondern die ganze Sache muß auch Spaß machen, sonst wird's nix!

John und ich meldeten uns übers Internet (styrkeproven.com) als Interessenten an, die Anmeldeformulare kamen dann einige Zeit später zusammen mit einem bunten Prospekt , der fröhlich radelnde Mädels und Jungs in kurzen Klamotten bei strahlendem Sonnenschein zeigte. Anbei aber auch der Hinweis, man sollte doch auch die Strecke Lillehammer-Oslo (190 km) in Betracht ziehen, wenn man sich der eigenen Kondition nicht ganz sicher sei. Diesen Hinweis ignorierend meldeten wir uns für die Langzeitgruppe (bis 36 Stunden) Trondheim-Oslo (540 km ) an (wer fährt schon für 190 km nach Norwegen?) , außerdem buchten wir in Oslo (falls wir denn ankommen sollten) für den Sonntag abend jeweils einen Schlafplatz in einer Turnhalle sowie Abendessen und Frühstück. Das wurde alles vom Veranstalter, dem Fahrradclub Oslo Cyclekrets, mit organisiert. Alles zusammen überwiesen wir pro Person NOK 1340 auf das angegebene Bankkonto, das entspricht gut DM 360 .

Das Rennen sollte morgens am Samstag den 23.6.2001 beginnen, wir entschieden uns schon am 21. abends anzureisen um noch einen kompletten Tag in Trondheim zum Relaxen zu haben. Auf www.Trondheim.com fand ich die Mailadresse der Touristenauskunft, die mir auf Anfrage eine lange Liste von Hotels und Jugendherbergen schickte. Schließlich buchten wir ein Appartment für uns drei , in dem wir die 2 Nächte bis zum Start zu verbringen gedachten. Das kostete uns NOK 1360.- (DM 370.-) pro Nacht. Den Flug von Frankfurt nach Trondheim und zurück von Oslo nach Frankfurt buchten wir bald danach, und der machte uns pro Nase um DM 1050.- ärmer. Naja man gönnt sich ja ...

Solchermaßen festgelegt fingen wir jetzt, so ca. 4 Monate vor dem Start, mit unserem individuellen Training an. John und ich meditierten über dem Streckenprofil, machten uns Sorgen über die Anstiege vor Garli und Hjerkinn. Der Rest sei ja wohl dann leicht zu schaffen. Es sollte ganz anders kommen.

Reinhard machte Nägel mit Köpfen und fuhr erstmal 2 Wochen nach Mallorca, wo er 1500 km abspulte. Hatte er auch bitter nötig, denn er war der einzige von uns der nicht jeden Tag automatisch auf dem Rad saß, fuhr er doch mit dem Auto zur Arbeit. Dafür hatte er uns jede Menge Renn-Erfahrung voraus, denn ich zum Beispiel lernte erst jetzt was eine RTF ist (bisher kannte ich nur RTFM J ) oder ein Supercup. Also fuhr ich denn im Frühjahr 2001 allein meine erste 100er Tour, die RTF Ober-Rosbach. Morgens um halb sieben war ich mit meinem antiken Mountainbike am Start und sah mich von knallbuntbekleideten Rennradlern umringt. Mit Sicherheitsnadeln popelte ich meine Startnummer an den Rucksack, ließ die Startkarte stempeln und los gings. Einen 20er Schnitt hatte ich mir für die 112 km vorgenommen und den schaffte ich auch gut bis mittags ins Ziel, nur bemerkte ich doch deutlich mein linkes Knie und mein Hinterteil, und verspürte eine bisher unbekannte Taubheit in gewissen persönlichen Teilen. Da fragt man sich : Liegt das jetzt am Rad oder am Sattel oder doch nur an mir? Rennradprofi Reinhard überzeugte mich dann, das Problem haben wir durch einen verstellbaren Lenkervorbau gelöst, den Reinhard mir besorgt hatte. Auf diese Weise konnte der Lenker auf Sattelhöhe eingestellt werden und die Sitzprobleme traten wegen der nun aufrechteren Sitzhaltung nicht mehr so extrem auf! Gleichzeitig sah ich ein, daß ich mit meinem geliebten Mountainbike doch ein riesiges Handicap hatte, schweren Herzens entschloß ich mich auf meine alte Tage noch zum Rennradler zu werden. Reinhard bot mir sein Zweitrad als Dauerleihgabe an, schließlich kaufte ich es ihm aber günstig ab inklusive Pizzateller, einem Monster-Ritzelpaket mit Paarunddreißiger als größtem Zahnrad. Ja was man so gewöhnt ist... Zusätzlich kaufte ich mir SPD Schuhe und würgte mich die ersten Male in die Klickpedale rein und raus, sehr spannend wenn man an der Kreuzung merkt, daß doch ein Auto kommt.. Egal , ich fuhr mit Reinhard und Rennrad zwei Supercups (Schotten und Warburg) sowie eine 150er RTF in Jügesheim. Wir kamen jeweils so mit dem letzten Viertel ins Ziel, und ich war immer schlagskaputt. Nach 240 km konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, mehr als dieselbe Strecke nochmal zu fahren. Windschattenfahren hinter Reinhard hat auch nicht geklappt, da wir beide zu verschiedenes Tempo haben, sprich er war schneller. Es bleibt also spannend.

2 Monate vor dem Start verlegte ich mich auf die mentale Komponente und lernte erstmal alle Kontrollpunkte zwischen Trondheim und Oslo mit Kilometerangaben auswendig. Wer jetzt lacht : Das hat mir echt geholfen. Ich bin sozusagen das Rennen ´zig mal im Geiste abgefahren. War auch nicht sehr anstrengend...

Leider steigt John aus unserem Team aus. Er hat bei den Trainingsfahrten gemerkt, daß er noch nicht fit genug ist. Schade drum, wir wären ein gutes Team gewesen und nun wird mir auch klar, daß ich in Norwegen alleine fahren muß , da Reinhard mir zu schnell sein wird.

1 Monat vor dem Start. Reinhard hat besonders beim Bergfahren Rückenprobleme, schlägt in einer pessimistischen Phase doch wirklich vor, auf Lillehammer-Oslo umzusteigen. Ich habe immer Rückenprobleme nur nicht beim Radfahren und wir steigen nicht um.

Mittlerweile werde ich immer zappliger und trete beim täglichen Arbeitsweg rein wie verrückt. Wieviel Kilometer hast Du schon dies Jahr? Ob das reicht? Keine Ahnung. Bis Lillehammer kommen wir allemal. Sollen wir da paar Stunden schlafen? Können wir uns doch garnich leisten! 36 Stunden ist das Maximum. Kommt man aber später als 17 Uhr vor Oslo an, dann wird man mit einem Bus ins Ziel gefahren , welch Schande. Also eigentlich nur 34 Stunden! Macht so einen 16er Schnitt über alles. Mit dem Knie! Und dem Rücken! Und dem A...!

2 Wochen vor dem Start. Ich erzähle meinem Hausarzt von unserem Vorhaben. "Wenn Sie ins Ziel kommen haben Sie Abwehrkräfte wie ein Aidskranker im Endstadium". Mahlzeit.

Nach Trondheim

Am Frankfurter Flughafen polstern wir die Räder mit Heizungs-Isolationsrohren , Reinhards Tip hat sich bei seinem Mallorca-Flug bewährt. Pedale nach innen geschraubt, klar. Und die Luft aus den Reifen bis sie gerade noch rollen. In Oslo steigen wir um in die kleinere Maschine nach dem gemütlich kleinen Flughafen von Trondheim. Dort angekommen, wünschen uns schon die ersten Norweger gute Fahrt nach Oslo. Auch der Fahrer des Flybus , der alle halbe Stunde vom Flughafen in die Stadt fährt. Trondheim ist eine schöne kleine Stadt, wir packen unsere Räder in das Appartment im Munken Hotel. Jede Menge Platz zum Schrauben, und das muß ich auch gleich : Beim Transport sind beide Laufräder verbogen worden, also ist zentrieren angesagt.

Am Freitag mittag folgen wir den Hinweisschildern und gehen uns anmelden, Startnummern und Zeitmeßchip holen . Rund um das Gebäude sind in der Fußgängerzone Verkaufsstände wo es rund ums Fahrrad wirklich alles gibt. Wir kaufen uns jeder 4 Tuben Energiekonzentrat, mit viel Wasser einzunehmen, naja.

In der Warteschlange lernen wir Uli und Carsten aus Bielefeld kennen, Carsten fährt und Uli begleitet ihn im Auto. Wir werden die beiden noch oft sehen..

Später teilen wir dann unsere Klamotten zwischen dem Fahrradrucksack und dem Koffer auf, der per LKW nach Oslo transportiert wird. Mann, ist Dein Rucksack auch so schwer ? Regenjacke, Müsliriegel, Werkzeug, Akkulampen und sonstnochwas. Wir wollen halt ohne Begleitfahrzeug auskommen! Dann schauten wir Wetterbericht im Fernsehen : kaum zu glauben : kein Regen angesagt und Wind von schräg hinten. Es kann losgehen! Trondheim habe ich nie dunkel gesehen. Nachts um 12 ist es noch hell und wenn man um 2 mal aufwacht ists wieder hell.

Das Rennen

Wider Erwarten schlafen wir ganz gut in der letzten Nacht, geben unsere Koffer am LKW ab und sind so gegen 7 Uhr inmitten einer Riesenmenge am Start. Die Organisation klappt aber ganz gut und wir rollen um 7:10 über den Zeitmeßteppich (pieps machts) , immer 100 Radler starten im 5 min Abstand. Das ist also der Moment an den wir das letzte halbe Jahr immer gedacht haben. Sieben Sonnen stehen am Himmel, ich rufe noch "Mensch jetzt geht's los", sehr intelligent, Reinhard hätte es wohl auch selbst gemerkt... und schon ist unser Ziel die Kontrollstelle Garli nach 70 Kilometern.

Start in Trondheim

Beim Herausrollen aus Trondheim ignorieren wir das Schild "Oslo 540 km" und schauen uns erst einmal in dem noch recht großen Pulk von Radlern um. Die mit uns gestarteten aus der Langzeitgruppe gehen die Sache wie wir auch eher locker an. Dieses Gefühl nach dem Start läßt sich nur ganz schwer beschreiben, im Nachhinein würde ich sagen : noch keine Ahnung was uns noch erwartet.

An der ersten Verpflegungsstelle Garli.

Kurz vor dem ersten Stop in Garli nach 70km fahren wir einen etwas steileren Anstieg hoch, jedoch nicht so lang und steil wie das Streckenprofil befürchten ließ. Trotzdem komme ich ins Schwitzen, jede Menge LKWs donnern vorbei und ich falle hinter Reinhard zurück. Er wartet jedoch auf mich. Mittlerweile stellt sich heraus, daß wir doch zusammen fahren können. Zu zweit machts einfach viel mehr Spaß und so mach ich bißchen schneller als normal und Reinhard etwas langsamer. Das Leben besteht aus Kompromissen...

Jetzt nach 70 km merke ich das erste Mal, daß ich mich kopfmäßig total auf die ganze Strecke eingestellt habe. Ich bin lange nicht so lustlos wie sonst nach dieser Strecke. Im Gegenteil : Sozusagen topmotiviert mampfe ich in Rekordzeit Bananen, schütte mir wahllos Getränke rein und höre mich nach 10 Minuten sagen : Reinhard, wann geht's weiter ?

Die 50 km bis zum nächsten Stop in Oppdal versuchen wir, an einer Italienischen gemischt weiblich/männlichen Gruppe dranzubleiben, welche man gut an ihren gelben Trikots erkennt, sie haben alle Eselsbilder drauf mit Schriftzug : L' asino que.. Also ungefähr wohl : Der Esel der sowas macht... Diese Interpretation fiel mir glaube ich erst im letzten Drittel des Rennens ein.

Beim Stop in Oppdal fahren die Italiener früher los als wir, Reinhard hat mit seinem neuen Sattel Probleme. Zwar ist dieser gegen Taubheit in den persönlichen Teilen im vorderen Teil gelocht, genau dort entsteht aber mehr Reibung als daß es angenehm wäre. Reinhard befreit sich von seiner zweiten Radler-Unterhose und weiter geht's.

 Mittlerweile überholen uns schon die ersten schnellen Gruppen die gegen 9:00 Uhr gestartet waren. Das hört sich so an als ob ein Nahverkehrszug an einem vorbeirauscht, die Jungs haben ständig über 40 Sachen drauf und bergab wohl so an die 70. Unser Tempo bewegt sich so um die 30 in der Ebene, sozusagen zügiges Tourenfahren. Mein Kreislauf kommt damit gut zurecht, und die 2 Trinkflaschen reichen dicke bis zur nächsten Kontrolle.

Nächstes Ziel ist Hjerkinn und damit der höchste Punkt der Tour, irgendwie ein Meilenstein an den wir bei der Planung oft gedacht hatten. Wie oft hatten wir gerätselt wann wir wohl dort ankommen werden. Nun stellt sich heraus, daß der Anstieg kein Problem ist, man fühlt die Steigung kaum und es gibt sogar die eine oder andere Abfahrt die im Streckenprofil gar nicht sichtbar ist. Ich fahre meistens im Windschatten von Reinhard, selten auch mal vorne, teilweise fahren wir nebeneinander und unterhalten uns. Die Stimmung ist gut, Reinhard hat immer prima Laune , wie man auch auf den Bildern sieht . Unsere Haupt-Gesprächsthemen sind natürlich der Zustand unserer momentan wichtigsten Körperteile (Beine (Oberschenkel, Waden), Rücken, A... in wechselnder Reihenfolge). Glücklicherweise haben wir beide keine größerern Probleme. Ich sitze abwechselnd mehr auf der linken oder der rechten Backe und fahre wie Reinhard ab und an mal im Stehen, Reinhard bekommt sein Sitzfleisch auch in den Griff. Keines unserer 4 Knie tut weh, welch eine Erleichterung. Ich schlucke alle paar Stunden eine Magnesiumtablette um Krämpfen vorzubeugen und merke von meinen Wadenmuskeln nur die Sehnen die in der Kniekehle liegen, die sind leicht gereizt aber ein Krampf wäre ja viel schlimmer. Der Profi würde sagen : Wir bewegen uns im aeroben Fettverbrennungsbereich .

Am höchsten Punkt in Hjerkinn

Die Steigung bis auf die ca. 1100 m nach Hjerkinn tut nicht weh, nur fahren wir schon ewig auf der kahlen Hochebene dahin (ich bin ungeduldig und mein Tacho zeigt schon mehr als 160 km) bis das Schild die Kontrollstelle ankündigt. Auf einem kurzen Schotterweg (Muffe zwengs Reifen) fahren wir zum Verpflegungszelt, welches einsam neben einer Rotkreuzhütte in der Landschaft steht.

 Stolz sind wir, daß wir´s bis hierhin/Hjerkinn noch vor 3 Uhr mittags geschafft haben. Ich lerne, daß reines Wasser auf Norwegisch VARR heißt, und daß ich ab jetzt nur noch dieses trinken werde. Diese ganzen Iso/Softdrinks gehen mir geschmacksmäßig auf den Geist, nichts geht über klares Wasser. Später hörte ich, daß es auch alkoholfreies Bier gegeben hätte, schade das wär mir auch recht gewesen.
 
 

Diese Hütte ham wir zum Glück nicht gebraucht
 
 

Abfahrt Richtung Lillehammer

Den Weg über die nächsten beiden Stops Dovreskogen und Kvam habe ich als absoluten Hochgenuss in Erinnerung. Wirklich stundenlange Abfahrten wo man bei leichtem Mittreten locker 40 bis 60 Sachen drauf hat, eine schöne Landschaft, links meist bergig mit Wald und rechts der Fluß teilweise tief unter uns im Tal. Die Orte durch die wir fahren sind klein, die Häuser meist aus Holz und schön bunt angestrichen. Viele Norweger sitzen auf der Straße und feuern uns an Heia! Heia! hat nichts mit schlafen gehen zu tun sondern heißt wohl: Hallo los geht's oder so ). Die Motivation wirkt : wir haben immer noch prima Laune! Einmal hat Reinhard richtig Speed drauf und plötzlich kugelt was rotes den Abhang hinunter, nein zum Glück nicht er selber sondern sein Helm hat sich gelöst und rollt rechts bergab. Dabei trägt er kein billiges Modell! Sachen gibt's.

Beim Stop in Dovreskogen gibt's in einer Art Kantine Nudeln mit Soße, wir bedienen uns mehrmals und relaxen im Freien am Tisch mit Sonnenschirm, sehr angenehm. Beim Technikcheck bemerkt Reinhard eine gerissene Speiche im Hinterrad und wir lassen das im Reparaturzelt fachmännisch richten, die 100 NOK zahlt er gerne.

Weiter geht's über die Stops in Kvam und Ringebu, es ist ein angenehm warmer Abend in den wir da hineinrollen. Mich erwischt ein richtiges Hochgefühl so gegen 8 Uhr abends, eine Zeit zu der wir nach einem Supercup schon längst zum gemütlichen Teil übergegangen waren. Waren das die berühmten körpereigenen Endorphine die meinten sich ausschütten zu müssen? Ich weiß es nicht, jedenfalls hatte ich zu dieser Zeit das Gefühl ich könnte noch 5 Tage so weiterfahren. Leider legte sich das bald...

Nun treffen wir auch Carsten wieder, den wir in Trondheim beim Anmelden kennenlernten. Er war den ersten Teil sehr flott gefahren und hat nun Knieprobleme, wohl auch weil sich seine großen Ritzel nicht mehr schalten lassen und er deswegen in zu großen Gängen fährt. Naja große Ritzel ist relativ wie ich bei einem Blick auf sein Hinterrad feststelle, sein Ritzelpaket kommt mir eher wie ein paar aufeinandergeklebte Kronenkorken vor, so klein sind die Dinger.

Gegen die Knieschmerzen schluckt Carsten ein Schmerzmittel, das ihm jedoch auf den Magen schlägt, ihm kommts hoch und er kann fast nichts mehr Essen, bekommt Kreislaufprobleme. Jedoch hält er eisern durch (für mich unglaublich, ich hätte aufgegeben), sein Begleitfahrer Uli versorgt ihn bestens (Kompliment Uli, Du hast uns auch oft aufgemuntert!) und Carsten wird noch vor uns ins Ziel kommen (er war fast 2 Stunden später gestartet!).

Fertigmachen zur Nachtfahrt in Lillehammer

 Bis Lillehammer fahren wir ohne Licht, die Dämmerung ist wegen des guten Wetters auch recht hell. In Lillehammer entscheiden wir uns, nicht zu übernachten. Wir sind beide nicht sehr müde und wir wollen keine Zeit verlieren, obwohl wir recht gut in derselben liegen . Denn wer weiß wie wir 100 km weiter auf dem Zahnfleisch fahren und da kann man doch eine Pause gut gebrauchen! Mittlerweile ist uns klar, daß wir das Rennen sicher in der Maximalzeit von 36 Stunden schaffen werden, und das freut uns wirklich. Leise spekulieren wir über 32 oder sogar 30 Stunden ? Wäre ja traumhaft! Aber vor uns liegen noch knapp 200 km , zunächst bei Dunkelheit. Etwas kühler wird's auch deswegen ziehen wir lange Trikots an machen die Beleuchtung klar. Nach einer knappen Stunde Rast ruft Reinhard zum Aufbruch, ich hätte gerne noch bißchen getrödelt lasse mich aber überzeugen und es geht in die Nacht hinein. Die ist schon um ca. 2 Uhr vorbei, da geht nämlich am Horizont die Sonne auf Auf den folgenden Kilometern über Rudshogda und Kolomoen machen wir auch mal zwischendurch kurz Pause, die Etappe nach Minnesund wird unsere langsamste. Immer gibt es einen Grund zum Anhalten. So gegen 6 Uhr morgens wird's empfindlich kalt und ich habe nichts Trockenes mehr zum Anziehen, zwar hat es nicht geregnet aber meine Klamotten sind total durchgeschwitzt, hauptsächlich am Rücken unter dem Rucksack. Um diese Zeit packt mich auch eine brutale Müdigkeit (Reinhard hat damit keine Probleme obwohl 8 Jahre älter, schau mal an), die sich auf meine Laune niederschlägt. Mich nervt sozusagen alles, inklusive mein Kumpan Reinhard der seine gute Laune anscheinend durch nichts verliert. Ab jetzt ist jeder kleine Anstieg ein Sauberg und wird auch als solcher laut und deutlich bezeichnet. Zu einer Kontrollstelle (ich glaube Minnesund) muß man sogar nach einer langen Brücke rechts extra ein paar Meter hochfahren, was mir extrem ungerecht vorkommt.

Glücklicherweise legt sich mein Koller so gegen 8 Uhr morgens.und wir rollen auch wieder etwas flotter. Jetzt diskutieren wir über die letzten Anstiege vor Oslo die angeblich tierisch in die Knochen gehen sollen.Und natürlich wieder über die Ankunftzeit. 30 Stunden liegen jetzt im Bereich des Möglichen, und wir beschließen, daß Reinhard vorfahren wird falls ich die 30 nicht schaffe. Er will aber auf jeden Fall, daß wir wenn möglich gemeinsam ins Ziel fahren, nach allem was wir seit dem Start schon zusammen erlebt und geleistet haben. Mich freuts und wir radeln weiter.

Carsten mit Begleitfahrer Uli

Wir kommen mit anderen Radlern ins Gespräch, einer ist über 60 und hat nicht anders trainiert als jeden Tag 20 km zur Arbeit und zurück. Wieder andere fahren eine deutliche Wampe vor sich her und sehen eher nach Kegelclub Wuppertal aus, aber sie schaffen es! Man sieht nicht immer von außen was innen drinsteckt!

An den letzten Stops Minnesund und Klofta machen wir nur noch kurz Pause, ich hab fast keinen Hunger mehr (wohin soll man das alles futtern?) nur noch Durst. Klofta zieht sich, man fährt durch mehrere Dörfer und immer denke ich das muß es doch sein. Als wir endlich dort sind die gute Nachricht : nicht 40 sondern nur noch 35 km bis Oslo. Und noch 2 steile Anstiege vor uns. Der erste liegt in einem Vorort , landschaftlich schön durch die Wiesen aber steil und lang. Beim letzten Anstieg kurz vor Oslo fahren wir auf der E6 (die hier wie eine Autobahn ausgebaut ist) einen langgezogenen Berg hoch der nicht enden will, um die Kurve und immer noch weiter in der Hitze. Noch 10 km bis zum Ziel.

Die letzten 5 km fahren wir auf einer Art Umgehungsstraße auf unserer eigenen, für Autos gesperrten Spur. Diese Sperrung gilt nur bis 15:00 Uhr, deswegen werden alle später ankommenden Radler mit dem Bus zum Ziel gebracht. Juckt uns aber nicht, es ist kurz nach 11 und wir steuern auf eine 28-Stunden-Zeit zu, sensationell! Noch ein paar Kurven und wir fahren in einer Art Industriegebiet über eine letzte Brücke und dann Hand in Hand durch das Ziel. Sofort stürzen sich zwei Helfer auf unsere Räder , montieren den Zeitmeßchip ab und hängen uns die bronzenen Medaillen um , während im Lautsprecher unsere Namen ertönen. Es ist vorbei! Carsten und Uli erwarten uns schon, und wir gehen in eine Art Sporthalle (wir befinden uns auf einem Hallentennisgelände) wo es Essen, Trinken, T-Shirts und ähnlich lebenswichtige Dinge gibt. Unter anderem auch einen Stand mit Startfotos aus Trondheim von jedem. Ich bin in einem merkwürdig halbschlapp-aufgedrehten Zustand so daß ich meins nicht kaufe, was Reinhard erstens nicht versteht und zweitens kauft er seins und meins dazu. Was wiederum prima ist denn später kaufe ichs ihm wieder ab...


 
 

Das Ziel in Hasle, Oslo

Das wars!

Reinhard wird dann von seinem Eheweib abgeholt, die beiden machen noch 2 Wochen Urlaub in Norwegen. Beim Abschied sind wir uns einig : Es war Klasse, vor allem daß wir zusammengeblieben sind und eine so gute Zeit gefahren haben. Aber so eine Quälerei nie wieder! Uli und Carsten verziehen sich ins Hotel. Und ich bleibe denn ich hatte schon mit der Anmeldung eine Übernachtung im Massenquartier sowie Abendessen und Frühstück mitgebucht. So hänge ich also noch bißchen rum in der glühenden Hitze, bin ich wirklich in Norwegen? Ich bereite mein Rad für den Flugzeugtransport vor, nerve den Veranstalter mehrmals weil ich mir viel zu spät die Bons fürs Essen hole und noch Werkzeug brauche (do you have a hammer?) , auf einmal wird alles hektisch denn das Ziel wird abgebaut und alles in LKWs verladen. Ich laufe zwischendrin etwas verloren umher und suche gegen 6 Uhr abends meinen Schlafplatz auf der sich in einer klimatisierten Turnhalle befindet. Prima Matratzen und Eimalbettwäsche gibt es und ich kriege kein Auge zu obwohl ich todmüde bin. Die Klimaanlage rasselt und meine Hoffnung auf Schlaf schwindet. Also gehe ich wieder raus und unterhalte mich mit einem jungen Norweger der in der Spitzengruppe mitfuhr und nach 400 km mit Kreislaufkollaps im Krankenhaus gelandet war, er hatte in der Hitze nicht genug getrunken. Er schenkt mir Ohropax , damit in den Ohren und einigermaßen beruhigt lege ich mich um 8 Uhr hin und schlafe bis zum nächsten Morgen um 7.
 
 

Hier die Tabelle mit unseren Zwischenzeiten:
 

 

Sollzeiten bei voller Ausnutzung der 36 Stunden

 

Unsere gefahrenen Zeiten

 

 

km

Zeit

Uhrzeit

Höhe

An

Ab

Besonderes

Trondheim

0

0

7:15

50

-

7:10

 

Garli

70

4:42

11:57

480

10:15

10:25

 

Oppdal

120

8

15:15

580

12:15

12:40

 

Hjerkinn

160

10:42

17:57

950

14:42

15:15

 

Dovreskogen

220

14:42

21:57

400

17:00

17:45

Speichenreparatur

Kvam

270

18

1:15

220

19:20

19:50

 

Ringebu

310

20:42

3:57

180

21:15

21:45

 

Lillehammer

360

24

7:15

180

0:15

1:10

 

Rudshogda

400

26:42

9:57

220

3:00

3:30

 

Kolomoen

440

29:24

12:39

200

5:30

5:50

 

Minnesund

470

31:24

14:39

150

7:55

8:10

 

Klofta

500

33:24

16:39

100

9:55

10:10

 

Oslo

540

36

19:15

70

11:31

-

 


 

 Für die Strecke Trondheim-Oslo haben sich in 2001 nur 2049 Teilnehmerinnen/Teilnehmer gemeldet. Davon sind 1507 im Ziel

angekommen. Wieviele Teilnehmer tatsächlich starteten ist uns nicht bekannt. Wir belegten die Plätze 1315 und 1316.
 
 

Resümee:

Was habe ich von dieser Tour gelernt ? Zuerst mal eine Binsenwahrheit : Wenn man sich etwas wirklich vornimmt und darauf hinarbeitet, dann hat man auch gute Chancen es zu schaffen.

 Zweitens : Gemeinsam geht's besser. Und drittens : Unglaublich was der Körper so aushält... Aber mal ehrlich : Für vielleicht 95% aller Menschen ist es absolut unvorstellbar, 540 km am Stück Rad zu fahren. Genauso unvorstellbar ist es aber für mich, daß man diese Strecke in der Hälfte der Zeit fahren kann die wir gebraucht haben (der Rekord wurde 2001 auf 13 Stunden, 42 Minuten und 47 Sekunden verbessert). So groß ist die Variationsbreite des menschlichen Körpers..

Wir hatten ewig viel Glück mit dem Wetter, kein einer Regentropfen und fast kein Gegenwind, das gab's noch nie bei der Styrke.

Auf jeden Fall hab ich jetzt was von dem ich später meinen Enkeln erzählen kann HAHA

Danke an Reinhard für das gemeinsame Erlebnis!

Danke an John für´s gemeinsame Planen und Du bist 2002 dran!

Thomas Perizonius   tpz(at)perizonius.de

Reinhard's Anmerkungen:

Die größte Überraschung (und Freude) für mich war, dass Thomas - entgegen allen vorher gemachten Erfahrungen - "drangeblieben" ist und wir so gemeinsam und unfallfrei bis ins Ziel fahren konnten.

Hatte er also in den Vorbereitungsfahrten nur geblufft? Dort wollte er von Windschattenfahren nichts wissen, auch beim Bergfahren hatte sich Thomas meist "dezent" zurückfallen lassen, an ein Fahren in der Gruppe gar nicht zu denken!

Beim Styrkeproven war alles anders, mein Kompliment Thomas!

Was hatte es mit meinen Sitzproblemen auf sich? Nun, so ca. 150 km vor dem Ziel wusste ich schon nicht mehr, wie ich sitzen sollte. Ich fühlte mich schon so, als säße ich auf einem Büschel von Stecknadeln! Erst durch die Idee, ein Reserveunterhemd um den Sattel zu binden und der immer präsente Spruch unseres mehrmaligen Trondheimfahrers Klaus (6 x erfolgreich teilgenommen) "da musst Du einfach durch!" machten ein Weiterfahren (im Sitzen) wieder möglich. Meine größten Sorgen vor der Styrkeproven waren:

- Wie wird meine Muskulator mit dieser Strazape fertig werden, werde ich Krämpfe bekommen?

- Wie werde ich die Nacht überstehen, wird die Konzentration nachlassen, wird es etwa zu Sekundenschlaf kommen?

- Werde ich an physische oder psychische Leistungsgrenzen stoßen?

Nun, ich bin glücklicherweise an keine dieser Grenzen gestoßen, dagegen hatte ich - völlig überraschend - mit erheblichen Sitzproblemen zu kämpfen.

Teilnahme am Styrkeproven 2002, 2003 ...? Eher nein; das Wohlwollen des Wettergottes soll man nicht überstrapazieren. Auch darf man nicht vergessen, welch erheblicher Trainings- und Kostenaufwand für eine erfolgreiche Teilnahme am Styrkeproven erforderlich ist.

Und schließlich: Die Styrkeproven 2001 war ein tolles, großartiges Erlebnis für mich! Dies soll (und wird) auch so bleiben!

Reinhard Kottek    rkottek(at)t-online.de
 

Links auf andere Styrke-Berichte

Anke Dannowski

Hansjörg Thommen

www.rad.saalmann.de

Ende